Netflix hat kürzlich eine eigene Filmproduktion herausgebracht: „Ibiza“ (Trailer). Plot: junge, kaum erfolgreiche PR-Frau aus NY kommt für einen beruflichen Auftrag nach Barcelona, verliebt sich in den „hotten“ EDM-DJ Leo West. Sie und ihre beiden mitgereisten Freundinnen entscheiden sich für YOLO, riskieren das Meeting am nächsten Tag und folgen ihm nach Ibiza. Es folgt eine ausgelassene, chaotische Clubnacht mit vielen Drogen, aber am Ende ist sie den eh verhassten Job los, bekommt trotzdem den Auftrag und natürlich auch den DJ. Oh, sorry fürs spoilern… Naja, große Plot-Twists sind eh nicht zu erwarten – das weiß man nach wenigen Minuten – genausowenig wie  der Versuch nach authentisch dargestellter Ibiza-Kultur oder sonst irgendeine differenzierte Sichtweise auf irgendwas, sei es Drogenkonsum, EDM-Hype oder die Sehnsucht nach der einen großen Liebe. Alles glatt, oberflächlich, kitschig-süß und ach so „crazy“…

Funster von Mixmag hat in einem Interview mit dem Regisseur Alex Richanbach weitere Details erfragt, zum Beispiel dass er nie in Ibiza war. Aber der Film hat nicht nur dieses Problem…

Man hört förmlich Funsters Verärgerung durch das Transkript des Interviews hindurch, genauso wie die Mischung aus Schulbewusstsein und Abwehrhaltung bei Richanbach. Eine interessante wie skurrile Lektüre.

Klar, es hinterlässt ein „Gschmäckle“, wenn der Regisseur eines Films, dessen Name „Ibiza“ lautet, ein beträchtlicher Teil der Story ebendort spielt und v.a. die ausgelassene Lebensweise und Partykultur für den „lifechanging moment“ im Leben der drei Hauptfiguren verantwortlich zeigt, nie selbst in Ibiza war, der Name konstant falsch ausgesprochen wird („Eibiiza“) und keine Sekunde des Films dort gedreht wurde (sondern in Kroatien). Aber auch die Netflix-Serie „Troja: Untergang einer Stadt“ (2018) wurde nicht in Griechenland und der Türkei gedreht, sondern in Südafrika. Warum regt sich da niemand auf? Offenbar erwartet man von vornherein von einer Serie wie Troja keine historische Korrektheit und filmische Authentizität wie bei Ibiza. Vielleicht ist dieses „man“ auch nur ein Szene-Insider wie Funster, und den meisten Netflix-Zusehern ist das ziemlich egal. Das Wort „Ibiza“ funktioniert hier als reine Chiffre, als leere Form für die Sehnsucht nach sexueller und partymäßiger Ausgelassenheit, ungezügelter Lebensfreude und Ausbruch aus dem prekären, unsicheren und selbstausbeuterischen Leben einer jungen New Yorker PR-Assistentin. Dabei muss nicht mal der Versuch unternommen werden, einigermaßen authentisch die Szene zu porträtieren – „Pop als (leere) Form“ offenbar.

Interessant ist aber auch, dass es bpsw. für alle drei finanziell kein Problem darzustellen scheint, schnell mal nach Ibiza und wieder nach New York zu fliegen, und als der DJ Adam West am Ende Harper fragt, ob sie ihn in Tokyo besuchen kommt, begründet sie ihre Absage mit „I’m just starting my new business …“ und nicht, wie es angemessener wäre: „I just got fired, can’t barely afford my living in NY and am not as filthy rich as you are, so no: I can’t afford to quickly hop over to Tokyo!!“ Oh, sorry, es ist ja „Feminismus“, dass sie ihm nicht so billig nachläuft sondern er nach NY kommt. Hurrah! – What? Wenn das schon Feminismus ist, dann ist die Latte dafür aber ziemlich niedrig…

Überhaupt hat mich das transportierte Frauenbild sehr aufgeregt: Oberflächlich scheinen die drei äußerst selbstbestimmt und souverän, alle sind beruflich tätig, z.T. selbständig, und bezüglich ihrer Sexualität, zumindest in ihrer Sprache, frei und selbstbestimmt. Aber die Handlung offenbart anderes: am Strand in Barcelona wird Nikki auf die übelste, schleimig-machistische Weise angemacht, und verfällt dem Typen total. Leah macht auf einer ausgelassenen Party mit einem Typen im Whirlpool rum, und als seine eifersüchtige Partnerin auf Leah mit einem Messer losgeht, flüchtet sie zu ihren Freundinnen: „It’s mostly my fault.“ What? Es ist also nicht die Schuld des Mannes, der seine Partnerin betrügt, sondern die der Frau, die ihn dazu verführt hat??? Steinigt sie doch bitte sofort!
Und die Hauptfigur Harper riskiert ihr Meeting und ihren Job, fliegt mit ihren beiden Freundinnen kurzerhand von Barcelona nach Ibiza, nur um „Mr. Right“ nachzulaufen. Und er? Verkürzt sein DJ-Set, damit er noch ein paar Stunden mit ihr verbringen kann: „I gotta meet a girl. You guys understand, what I’m talking about.“ Yeah, mate, DU bist es der das ganz große Opfer bringt…! Ach, einfach nur billig und machistisch.

Ok, über die Musik haben wir noch gar nicht gesprochen. Auch das ein massiver Kritikpunkt von Funster. Jetzt kenn ich (leider) die Musikszene von Ibiza selber nicht aus eigener Erfahrung, aber was hier im Score läuft, ist der reinste Fließband-EDM, mit Frank Sinatra („New York, New York“) und David Bowie („Life on Mars?“) dazwischen gestreut. Techno? House? Fehlanzeige. Aber wenn bei einer Taxi-Fahrt über die Hügel von – ähm: „Ibiza“ – „Despacito“ läuft, dann weiß man eigentlich eh schon Bescheid: nein, es geht hier nicht um Authentizität (Puerto Rico? Ibiza? egal, alles español, amigo …!), sondern um Abruf von Klischees und um eine „crazy story“. In dieser Hinsicht ähnelt „Ibiza“ frappant der „Hangover“-Reihe. Und in der unhinterfragten Glorifizierung des Popfigur DJ steht er einem anderen DJ-Hero-Film – „We Are Your Friends“ – in nichts nach. Wann kommt endlich ein Film, in dem jemand (Mann, Frau, egal) sich eine weibliche(!) DJ verliebt? Oder in dem ein DJ mit psychischen Problemem, Drogensucht und Suizidgefährdung zu kämpfen hat? Seitdem Eric Morillo offen mit seiner Depression und Drogensucht umgeht und spätestens seit dem Freitod von Tim Bergling a.k.a. Avicii in diesem Jahr wissen wir, dass dies leider auch zur Realität der DJ-Culture gehört. Aber davon will die Welt der „reinen Form POP“ wohl nichts wissen.