Nine Inch Nails wurden am 7. Nov. diesen Jahres in die Rock&Roll „Hall of Fame“ aufgenommen. Meiner Ansicht nach hoch verdient und längst fällig. Eine persönliche Würdigung einer für mich sehr wichtigen Band.

Ich erinnere mich noch, als ich zum ersten Mal Nine Inch Nails (kurz: NIN) hörte: auf dem italienischen Musiksender „Videomusic“ lief „Head Like a Hole“ (1989). Wann genau, weiß ich nicht mehr, aber es muss wohl in der Zeit zwischen 1989 und 1991 gewesen sein – ich also 12, 13 oder 14 Jahre alt. Also gerade in der Zeit, in der ich Heavy Metal (v.a. Metallica und Sepultura) für mich entdeckt hatte. Der Song und das Video waren verstörend und faszinierend zugleich: der „angry young man“ Reznor schreit sich durch den Song, ein visuelles Stakkato aus Band-Performance, Bilder von Ritualen und ein unablässig sich drehender Cyborg-Schädel fetzen über den Bildschirm, und am Ende windet sich Reznor kopfüber hängend auf der Bühne, verwickelt in ein Chaos aus Rastazöpfen und T-Shirt. Die Musik: elektronisch, fremd und hypnotisierend, aber auch agressiv, hart und mit fetten Gitarrenriffs.

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https://youtu.be/ao-Sahfy7Hg

Im Nachhinein sind für mich Nine Inch Nails jene Band, die mir die elektronische Musik und später auch EDM nahe gebracht haben. Davor kannte ich elektronische Musik v.a. aus dem Chartbereich der 80er Jahre (ich fand sogar Modern Talking toll…). Zwar hatten mir Depeche Mode mit ihrem „Blasphemous Rumours“ (1984) oder die Compilation „Synthesizers Greatest Vol. 1“ (1989, mit Vangelis, J.M. Jarre, Kraftwerk u.a.) auch schon vermittelt, dass elektronische Musik nicht nur glattgebügelter Mainstream-Pop sein kann, sondern dass damit alle möglichen Klangwelten erschaffen werden können. (sidenote: Depeche Mode wurden ebenfalls 2020 in die „Hall of Fame“ aufgenommen). Keine andere Band aber verband mein Bedürfnis nach Härte und Aggression mit den fremden, fragilen und düsteren Klangwelten der Elektronik so wie Nine Inch Nails. Die „Hall of Fame“ beschreibt NIN genau so: „NIN juxtaposes the brutal and delicate, chaos and order, nihilistic despair and spiritual rapture.“ I couldn’t agree more…!

https://www.rockhall.com/inductees/nine-inch-nails

Man neigt ja dazu, im Nachhinein die eigene (musikalische) Biografie als lineares Narrativ umzuformen, und so ist es wahrscheinlich auch in diesem Fall. In diesem Narrativ jedenfalls spielen NIN eine Schlüsselrolle, da ich zwar als Teenie primär dem Heavy Metal und seinen extremen Spielarten (Trash, Death, Grind) verfallen war, aber auch Bands wie Front 242, Front Line Assembly oder Nitzer Ebb hörte (nicht zuletzt auch deshalb, weil mein großer Bruder Fan davon war). Und dass darüber schon ein Weg in die elektronische Tanzmusik gebahnt wurde, die ich dann so ab Anfang 20, v.a. mit Goa- und Psytrance, intensiv lebte. Und ich suche im Psytrance immer noch nach diesen Ambiguitäten und Gleichzeitigkeiten von massiver Klanggewalt durch hohes Tempo, fetten Basslines und mächtigen, verzerrten Synth-Wänden einerseits und zarten, fragilen und oft auch einfach nur herzerwärmend schönen Melodien andererseits. Das finde ich auch in Metal-Bands, wohl war: Strapping Young Lad/Devin Townsend, Gojira oder auch Tool. Und im Gothic-Metal, der v.a. Mitte bis Ende der 90er Jahre erfolgreich war und dem ich mit Bands wie Paradise Lost, Tiamat, Crematory, My Dying Bride, The Gathering oder Samael ausgiebig frönte.

Psytrance aber verkörpert für mich noch mehr dieses Spannungsfeld. Und nicht zuletzt ist Psytrance (wie EDM-Genres im allgemeinen) dafür optimiert, stundenlang dazu zu tanzen und Trance-Erfahrungen zu generieren, die (für mich zumindest) mit Metal nicht in dieser Tiefe zu haben sind. Im Metal ist halt auch immer noch das Künstler-Subjekt präsent, was mich von einer totalen Immersion in die Klangwelten abhält. EDM hat durch die Figur des DJ das Künstlersubjekt zu überwinden versucht – in Teilen ist das gelungen, gerade in den frühen Tagen der Rave- und Techno-Kultur. Vielfach aber ist gerade in letzter Zeit ein Rückkehr des Künstler-Subjekts festzustellen, Stichwort EDM-Pop. In Teilen ist mein Dissertations-Projekt als Argumentation für die Überwindung – oder sagen wir besser: Reduktion – des Künstler-Subjekts zu sehen. Vielleicht kann ich das aber auch nochmal an anderer Stelle detaillierter darlegen…

Unabhängig von meinen persönlichen Vorlieben und meiner eigenen Biographie sind NIN auch eine musikulturell wichtige Band, darüber sind sich die meisten Autor*innen im Musikjournalismus einig. Und viele Musiker*innen loben NIN und stellen sie als wichtigen Einfluss dar. Nichtzuletzt hat Johnny Cash mit seinem Cover von „Hurt“ (1995/2002) der Band ein Denkmal gesetzt. Die Laudatio für die Aufnahme in die Rock&Roll „Hall of Fame“ hielt Iggy Pop. Sein Text und das Dankesvideo von Trent Reznor sind hier zu lesen, zu sehen und zu hören.