Dinge der Soundproduktion. Praktiken, Affordanzen, Diskurse

Termin: Donnerstag, 26. September, 13 bis 15 Uhr
Ort: S 56
Chair: Timo Schemer-Reinhard
Vorträge
Lorenz Gilli: „breaks demanded to be repeated“. Affordanzen von Dingen und Klängen der Soundproduktion in Hip Hop und Klangkunst
Karin Martensen: Mikrophon und Habitus. Überlegungen zum Mikrophongebrauch in der Musikaufnahme
Laura Niebling: Spurenlesen. Tonbänder als Musikartefakte der populären Kultur
Kiron Patka: Große und kleine Gesten. Der Verlust von Körperlichkeit in der Radioproduktion

Abstract meines Vortrags:

Experimentelle Umgangsweisen mit phonographischen Reproduktionsmedien im privaten und populärkulturellen Kontext lassen sich bis ins ausgehende 19. Jh. zurückverfolgen (Smith 2013). Im Kontext der musikalischen Avantgarden sind es ab den 1920er Jahren die Experimente von Lázló Moholy-Nagy, Paul Hindemith und Ernst Toch, John Cage oder Pierre Schaeffer, die die künstlerischen und technischen Möglichkeiten und Grenzen der Klangkunst mit Schallplatten ausloten. Und schließlich sind es Hip Hop-DJs, die in den 1970er Jahren eine neue musikalische Formsprache, den turntablism, entwickeln.

In meinem Vortrag untersuche ich die Konstellation aus Plattenspielern, phonographischen Speichermedien, medial fixierten Klängen und menschlicher Kreativität. Die Frage zielt auf die technischen, haptischen und sonischen Eigenschaften dieses klangmedialen Dispositivs sowie der an diesem ausgebildeten Praktiken; dieser Frage gehe ich anhand des Vergleichs der musikalischen Avantgarde und des Hip Hop nach. Einer in der Literatur öfters anzutreffende historische Kontinuität oder gar Genealogie (z.B. Hindemiths und Tochs Grammophonmusik als „the roots of turntablism“ bei Holmes (1985); vgl. auch Young 2000 u. Smith 2013) möchte ich bewusst entgegentreten. Trotz deutlicher Parallelen unterscheiden sich nämlich diese Praktiken in ihrer Formsprache, kompositorischen Intention und situativen Nutzung fundamental. Losgelöst von einem kulturell oder sozial basierten Wissenstransfer stellt sich daher die Frage, welche Praktiken und Nutzungsszenarien dieses klangmediale Dispositiv erlaubt, beschränkt und einfordert; kurzum: welche ‚Affordanzen’ (Gibson 1986) von ihm ausgehen. Der Affordanzbegriff wird dabei nicht nur auf das technische ‚Ding’ und sein Interface angewandt, sondern auf musikalische Affordanzen (Butler 2014) erweitert. Durch eine solche medienökologische Betrachtung sollen die komplexen Wechselwirkungen zwischen Technologie, Ästhetik und Kultur offengelegt werden.

Bibliographie

  • Butler, Mark J.: Playing with Something that Runs. Technology, Improvisation and Composition in DJ and Laptop Performance; Oxford University Press: Oxford 2014.
  • Gibson, James J.: The Ecological Approach to Visual Perception; Psychology Press: New York 1986.
  • Holmes, Thom: Electronic and Experimental Music. Technology, Music and Culture; Routledge: London 1985.
  • Katz, Mark: Sampling before Sampling. The Link Between DJ and Producer In: Samples. Online-Publikationen der Gesellschaft für Popularmusikforschung / German Society for Popular Music Studies e. V. 9, 2010.
  • Smith, Sophy: Hip-hop turntablism, creativity and collaboration; Ashgate: Farnham 2013.
  • Young, Rob: Roll Tape. Pioneers in Musique Concrète In: Shapiro, Peter: Modulations. A History of Electronic Music: Throbbing Words on Sound; Caipirinha Productions Inc.: New York 2000, S. 8–23.